Die Hintergrundgeschichte von „Blade & Soul“ mag für Uneingeweihte aussehen wie ein Vorwand, um andere mit Kung-Fu zu verprügeln, aber in Wahrheit geht es in dieser Geschichte um Loyalität, Moral, Rache und Erlösung. Wer sich mit Literatur oder Filmen aus dem Fernen Osten auskennt, erkennt sofort das Genre: Wuxia („wuh-shja“). Es handelt sich um eine erstaunlich moderne Erzählform, die trotz ihrer tiefen Verwurzelung in der chinesischen Kultur bis in den Western und den heutigen Actionfilm hineinreicht. „Blade & Soul“ zu spielen, ohne den Ansatz von Wuxia zu verstehen, ähnelt dem Versuch, einen Ego-Shooter ohne jede Kenntnis militärischer Kultur zu meistern: Es ist möglich, aber viele Feinheiten würden dabei verloren gehen. Und deshalb folgt nun ein kleiner Exkurs darüber, was es bedeutet, in einer Wuxia-Welt zu leben.
Jianghu & Wulin
Schauplatz von Wuxia ist das Jianghu („Dsch-ANG-huh“), was wörtlich übersetzt „Flüsse und Seen“ bedeutet. Es handelt sich dabei nicht um einen spezifischen Ort, sondern um einen bestimmten Zustand der Welt bzw. dessen Beschreibung. Hier herrschen Komplikationen und Chaos, die Gesellschaft zerbricht unter dem Druck von Korruption und Krieg. Die schlechtesten Eigenschaften der Einwohner treten offen zutage, aber es ist auch ein Ort an dem sich deren beste Eigenschaften noch durchsetzen. Auf die Autorität des Staates ist kein Verlass, daher hält man sich an eigene Ehrenregeln anstatt an das Gesetz.
Innerhalb des Jianghu gibt es das Wulin („Wuh-lin“), die Gesellschaft der Kampfkünstler. Dabei handelt es sich nicht um eine organisierte Gruppe, sondern beschreibt vielmehr eine Gemeinschaft zu der jeder gehört, der sich einer Ausrichtung der Kampfkünste verschrieben hat. Das Wulin setzt sich aus zahlreichen Fraktionen, Sekten und Bruderschaften unter der Leitung ebenso zahlreicher Meister zusammen. Und alle stehen sich entweder freundschaftlich, neutral oder offen feindselig gegenüber.
Neigong, Qinggong, & the Secret Scriptures
Das Wushu, die Kampfkunst, die im Wulin praktiziert wird, ist ebenso vielfältig wie die Anzahl der Klans. Fähigkeiten werden vom Meister an Schüler weitergegeben, wenn sie sich als würdig erweisen. Die einzelnen Schulen können sich auf verschiedene Spezialisierungen konzentrieren: den waffenlosen Kampf, Kampf mit Schwertern, Stäben und anderen Waffen oder sogar mit übernatürlichen Fähigkeiten. Nei Gong („Ney-gong”) oder „innere Kraft“ beschreibt die Fähigkeit, Chi („Tschih“) oder Energie zu konzentrieren, um Geschwindigkeit, Stärke und Ausdauer zu erhöhen oder Heilkräfte zu entwickeln. Im Wuxia gibt es außerdem auch das Chinggong („sching-gong”), die „Kraft der Leichtigkeit“, mit der man die Schwerkraft nahezu überwindet, wodurch Kampfkünstler hoch in die Luft springen, Wände entlang oder auf Wasser laufen können.
Die besten Kampfkunsttechniken findet man üblicherweise in uralten Texten, z. B. geheimen Schriftrollen oder Folianten, die dem Besitzer übermenschliche Fähigkeiten im Kampf verleihen. Diese Geheimnisse werden streng bewacht und können sehr gefährlich sein. Sie können dem Verwender bei falschem Gebrauch Schaden zufügen, der richtige Gebrauch kann für die Welt noch viel bedrohlicher sein.
Xia
Aus dem Wulin erwachsen sowohl Helden als auch Schurken. Das Element, das sie voneinander unterscheidet, ist das Xia („Schi-AH“), ein Ehrenkodex, der stark an die Morallehre von Konfuzius angelehnt ist. Xia bedeutet sowohl „ehrenhaft“ als auch „Schwertkämpfer“ und verlangt von seinen Anhängern Loyalität, Rechtschaffenheit und Hilfsbereitschaft. Unrecht gegen Arme und Unterdrückte muss gesühnt werden. Wuxia-Helden müssen dem Xia folgen und ihrem Klan, ihrer Familie und ihrer wahren Liebe treu ergeben sein. Üblicherweise sind die Helden dieser Geschichten jung und unerfahren, aber während sich die Geschichte entfaltet wachsen sie über sich selbst hinaus und meistern nicht nur ihre Kampfkunst, sondern stellen sich auch ihrer Verantwortung.
Die äußeren Konflikte im Wuxia finden stets zwischen einer Person statt, die dem Xia folgt und einer, die davon abgefallen ist und nun der Welt Schaden zufügt. Von gleicher Wichtigkeit sind aber auch die inneren Konflikte, die jede Person im Wulin mit sich austragen muss, wenn ihre Loyalität infrage gestellt wird. Welche Entscheidung dabei getroffen wird, definiert oft die Zuordnung als Held oder Schurke. Erhält ein Schurke den Auftrag jemanden zur Tilgung einer Schuld zu töten, wird er nicht zögern, seine Familie zu hintergehen oder seinen Meister zu belügen, indem er vorgibt den Auftrag ausgeführt zu haben. Ein Held hingegen beschreitet den Pfad der Rechtschaffenheit und argumentiert vielleicht mit seinem Meister, wenn er herausfindet, dass die Schuld auf einer alten und nichtigen Banalität beruht. Und da Wuxia auf der Entwicklung des Individuums zu einem besseren Menschen basiert, kann auch der Schurke Erlösung finden, wenn er seine Richtung wechselt und den rechtschaffenen Pfad einschlägt.
Aber nicht jeder kann Erlösung finden. Ein Held muss das Unrecht bekämpfen, auch wenn er die Schuldigen töten muss. Und das ist letztlich der Kern von Wuxia: der Einzelne, der sich ungeachtet der Erfolgsaussichten gegen alle erhebt, damit die Welt ein besserer Ort wird.